LOST PLACES an der Müritz: Ein Zeitreise-Projekt der kleinen Sekunde

Dort, wo heute das Fusion Festival einmal jährlich zig Tausende Menschen zum ausgelassenen Feiern inspiriert, war einst eine andere Realität. Die kleine Sekunde hat sich auf die Suche nach "verlorenen Orten" an der Müritz und ihrer bewegten Vergangenheit gemacht... eine ZEITREISE, wie sie spannender nicht sein kann.

Die kleine Sekunde auf dem Müritzflugplatz Rechlin-Lärz Die kleine Sekunde an einem markanten Ort: die originale Rollbahn auf dem geschichtsträchtigen Flugplatz in Lärz.

Rechlin/Lärz. Die Betonpiste liegt ruhig. Aber aus jeder Pore atmet Geschichte. Heute starten hier Sportflugzeuge, und der Müritz-Airpark mit einzigartig ausgebauten Hangars und schmucken Ferienhäusern entsteht. Gleich nebenan liegt das Kulturkosmosgelände, wo alljährlich das beliebte Fusion-Festival über zig Bühnen geht, was um die 70 000 Menschen in seinen Bann zieht und zum ausgelassenen Feiern in einer sorgenfreien, kulturell reich gefüllten Parallelgesellschaft animiert - wenn nicht gerade Corona das Geschehen lähmt. Damals allerdings in den 30er und 40er Jahren war alles anders:  Es war eine Zeit, die den Landstrich in besonderer Weise geprägt hat. Die südliche Müritzregion, heute eines der beliebtesten Feriengebiete Deutschlands, hat eine bewegte Geschichte. Auf dieser Seite widmet sich die kleine Sekunde einem sehr ernsten Thema - aber auch das hat mit Zeit zu tun, und Verstehen ist besser als Unwissenheit, es ist der Anfang von Verarbeiten und ggf. auch Verzeihen.

An der Müritz befand sich einst bis zum Ende des zweiten Weltkriegs die zentrale Flugzeug-Erprobungsstelle der deutschen Luftwaffe, die sogenannte E-Stelle Rechlin.


Unzählige Fluggeräte, die an der Front zum Einsatz kamen und das "Ruder" noch rumreißen sollten, wurden in Rechlin und Lärz - genau dort, wo heutzutage das Fusion Festival zu Hause ist - auf Flugtauglichkeit, aerodynamische Eigenschaften und technische Vollkommenheit getestet. Auch die ersten Strahlflugzeuge der Welt, darunter die Me 262, kamen hier bei der Erprobung zum Einsatz. Piloten, Ingenieure und Luftfahrtenthusiasten aus ganz Deutschland, die anfangs schlichtweg ihrer Leidenschaft nachkamen und sich beruflich beim Entwickeln immer modernerer Technik verwirklichten, gerieten zunehmend in die Kriegsmaschinerie und ein System, das kein Erbarmen kannte. Die Anzahl der zu fliegenden Tests nahm 1943/44 rasant zu.

Die Flugzeugtypen und Baumuster waren immer unausgereifter. Die Verluste wurden immer gravierender. Die Sirenen heulten laut - wenn wieder eine Maschine auf die Piste prallte, in Flammen aufging und zerschellte oder in die Müritz fiel. Zahlreiche Piloten stürzten ab und kamen ums Leben. Ein Kapitel, das Spuren hinterlassen hat - und das im Luftfahrttechnischen Museum Rechlin Aufarbeitung erfährt. Wer hier auf dieser Seite Anregung findet, sich mit dem Thema intensiver auseinander zu setzen, sollte sich dort mit den Zeitzeugnissen vertraut machen oder an einer Führung teilnehmen. Eine Einordnung der damaligen Situation unter heutigen Gesichtspunkten kann und will diese Seite nicht leisten. Das erfordert eine tiefergreifende Herangehensweise.

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DIE KLEINE SEKUNDE - ein Projekt von "Mitten im Dorf" in Lärz, das sich im weitesten Sinne mit Zeit befasst, hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses bewegende Stück Heimatgeschichte hier in Ansätzen darzustellen - durch das Aufsuchen verschiedener Spuren der Vergangenheit aus der Zeit von vor 1945, aber auch aus der Zeit danach, als die sowjetischen Streitkräfte das Flugplatzgelände in Lärz in ihre Regie nahmen. Dazu gibt es Buchempfehlungen, die das Gewesene auf emotional einzigartige Weise erlebbar machen und für die Zeit damals - die einen behutsamen Umgang erfordert - sensibilisieren. Noch immer gibt es Menschen, die um ihre Angehörigen, Väter, Großväter, Geschwister, trauern, die die technischen Errungenschaften und die Leistungen der Piloten, Bordingenieure, Mechaniker usw. für die Entwicklung der Luftfahrt anerkannt wissen wollen. Und es gibt auch die Kritiker, die die Zeit damals strikt verurteilen. Aber das eine und das andere müssen sich nicht ausschließen. Manchmal macht es Sinn, das Geschehene unter den Vorzeichen der Zeit zu betrachten - dann entzerrt sich das Bild, und es bietet sich Raum für Verständnis. 

Fakt ist: Die Spuren der Vergangenheit sind allgegenwärtig. Sie schlummern inmitten der umliegenden Wälder, so wie der gigantische Betonbunker, der vermutlich dazu dienen sollte, die Strahlflugzeuge zu warten. Nach Zeitzeugen-Berichten waren die Tore noch nicht eingesetzt. Dann war der Krieg zu Ende, und die herannahende Rote Armee versuchte 1945, das Jahrhundertbauwerk zu sprengen - mit bescheidenem Erfolg, wie man noch heute sieht. Wer mehr über die brisante Geschichte Rechlins erfahren möchte, findet in der Neuauflage des Originalromans "Sterben war ihr täglich Brot" von Autor Norbert Lebert (erschienen 2017 bei mecklenbook) auch einen zeitgeschichtlichen Anhang. Nordkurier-Redakteurin Elke Enders hat sich darin auf Spurensuche begeben und in vielen Fotos die Entwicklung in und um die Erprobungsstelle eingefangen. Freundlich unterstützt wurde sie dabei von den Mitarbeitern und Vereinsmitgliedern des Luftfahrttechnischen Museums in Rechlin, wodurch es möglich wurde, ein schlüssiges, informatives Bild nachzuzeichnen.

  • Der große Bunker, der 1945 durch die Sowjets gesprengt wurde.
  • Große Betonklötze sind übrig, die Wände waren zu dick.


Die Redaktion der kleinen Sekunde lädt ein, dieses Stück Vergangenheit auf einer ZEITREISE, die nach und nach vervollständigt wird, mitzuerleben - es ist der Versuch, sich einem ernsten Thema auf unterhaltsame Weise zu nähern, denn so erreicht man viel mehr Menschen, als mit hoch wissenschaftlichen Abhandlungen.  

Sprottscher Berg - strategischer Höhepunkt

Ein strategisch markanter Punkt schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts war der Sprottsche Berg (oft auch Sprotscher Berg geschrieben). Mit seinen 102 m über NN (Höhe entspricht lokalen Angaben) ist es die höchste Erhebung im Umland der Müritz. Der Hügel befindet sich bei Rechlin/Ellerholz und wurde daher schon frühzeitig als Aussichtspunkt genutzt. 1918 erhielt er besondere Bedeutung, als auf seiner "Spitze" die fliegerische Versuchs- und Lehranstalt am Müritzsee durch den Großherzog feierlich eingeweiht wurde. Die strategische Bedeutung hielt während der Nazi-Zeit an, da ringsum die Flugfelder der Erprobungsstelle lagen. Das Gelände ist mit mehreren Bunkern unterwandert. Nach dem Krieg hatten die Sowjetischen Streitkräfte hier Radarstationen installiert, wie sich Einheimische noch erinnern. Dennoch waren Teilbereiche für die Bevölkerung zugänglich. So nutzten auch Schulklassen das naturbelassene Ambiente für Wandertage - mit Spielen  und Picknick unter freiem Himmel. Bei schönem Wetter und wenig belaubten Bäumen kann man noch heute vom Gipfel die Müritz sehen. Auch bietet sich ein weiter Blick in die Landschaft. Die Gemeinde hat eine Infotafel angebracht, die über die Bedeutung des Ortes Auskunft gibt.  Die unterirdischen Bunker sind zum Großteil verschlossen - das Gelände ist privatisiert, wie zu erfahren war. Und es gab schon die unterschiedlichsten Pläne damit. So waren Solaranlagen ebenso im Gespräch wie der Anbau diverser Gartenkulturen.

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Ein Buch, das auf eindrucksvolle Weise Einblick sowohl in den Alltag als auch ins Frontgeschehen während des zweiten Weltkriegs gibt, ist "Gerdi - Was bleibt. - Briefe von der Front 1939 bis 1944"  Gerdi war ein junger Mann, der aus Neustrelitz/Mecklenburg stammte. Er weilte auch manchmal in Lärz, wo er auf einem Bauernhof half. Am liebsten wollte er selbst einmal Landwirt werden. Das Abitur gerade in der Tasche, kam aber alles anders. Er wurde eingezogen. Zuletzt kämpfte er an der Ostfront.

  • Augenzeugen-Bericht zur Erprobungsstelle Rechlin: Als die He 177 vom Himmel fiel

Ein Zeitzeuge erinnert sich:  

"Der hing so schräg der große Vogel, riesen Dinger, 30…50 Meter über uns weg, die Pferde scheuten nicht mal, die waren das gewöhnt, haben viele Abstürze gesehen"

Rechlin/Lärz (ee). Es war draußen auf dem Feld – ein ganz normaler Tag. Doch für die Jungs aus dem Dorf gab es kein Halten mehr, als plötzlich dieses Flugzeug angerauscht kam. Die Flammen schlugen hoch, während die Maschine unsanft zu Boden ging. Auf einem Acker unweit des Flugplatzes Lärz schlug sie auf, die He 177, ein riesen Koloss. „Wir waren in der Nähe und sind sofort hingerannt. Alles brannte lichterloh. Man nannte diesen Flugzeugtyp ja nicht umsonst Reichsfeuerzeug oder auch Reichsbrandfackel…“, erinnert sich Zeitzeuge Helmut J., heute 93 Jahre alt, der damals mit seinen Kumpels zur Dorfjugend zählte.

Dieser Flugzeugtyp, dessen Prototypen auch an der Müritz in der Erprobungsstelle in Rechlin getestet wurden, hatte den unrühmlichen Beinahmen bekommen, weil sich immer wieder wie aus heiterem Himmel Brände entwickelten, die der Besatzung oft das Leben kosteten. Viele Maschinen stürzten ab, auch schon bei den Testflügen. Sie zerbrachen in der Luft, oder die Motoren fingen Feuer, so dass das Flugzeug nicht mehr zu beherrschen war. Trotz Nachbesserungen war das Problem nicht in den Griff zu bekommen. Und meist waren immer gleich vier bis sechs Menschen tot. Denn soviele gehörten zur Besatzung dieses schweren viermotorigen Bombers. Ungewöhnlich an diesem Fabrikat aus dem Hause Heinkel war die Anordnung der Triebwerke. Je zwei Motoren, die miteinander gekoppelt waren, befanden sich zu jeder Seite. Sie trieben eine gemeinsame Propellerwelle an. Mit dem ungewöhnlichen Antrieb sollte die Maschine sturzflugtauglich gemacht werden, um bei den Fronteinsätzen noch wendiger und treffsicherer agieren zu können.

Auch an diesem Tag, an dem sich das Unglück ereignete, war nicht mehr viel zu retten. „Nur der Heckschütze kam noch raus, er war schon angekokelt, brannte an der Kleidung, wir haben ihn quasi in Empfang genommen und noch versucht, mit Erde zu löschen. Dann kamen auch schon die Feuerwehr und das Militär, kurz darauf war alles abgesperrt, und niemand kam mehr ran…“

Was die Jungs damals auf dem Feld zwischen Lärz und Rechlin erlebten, war kein Einzelfall. An das ständige Brummen der Erprobungsflugzeuge in der Luft hatten sich die Anwohner in der südlichen Müritzregion längst gewöhnt, und auch daran, dass auf den Äckern, die in den Kriegsjahren immer noch bestellt wurden, Flakschützen Position bezogen hatten. Denn die Feind-Bomber konnten zu jeder Zeit über den Raum Rechlin einfallen. „Wir waren oft beim Kühe hüten, wenn dann die Bomber kamen, ging das Geballer los. Die Splitter fielen überall runter“, berichtet Helmut J. weiter...

(In voller Länge ist der Artikel im Nordkurier erschienen/Autorin: Elke Enders)

Die Gedenkstätte in Retzow

Bei der Aufarbeitung der Geschichte der Region um Rechlin und Lärz darf aber auch der Ort Retzow nicht außen vor bleiben. Gleich am Ortseingang befand sich zu Kriegszeiten eine Außenstelle des KZ Ravensbrück, wo vor allem Frauen entkräftet und ausgemergelt harte Arbeit verrichten mussten. Sie lebten eingepfercht in den Baracken, viel zu viele Menschen auf engstem Raum, geplagt von Hunger, Krankheiten, Ungeziefer, dazu kräftezerrende, schwerste Erdarbeiten beim Flugplatzausbau. Viele von ihnen hielten den unmenschlichen Bedingungen nicht stand und ließen ihr Leben - wie in vielen KZs, so auch in Retzow. Ein düsteres Kapitel, das Jahrzehnte kaum Erwähnung fand. Jedenfalls wurde zu DDR-Zeiten in den Schulen nichts oder kaum etwas dazu vermittelt. Inzwischen ist aus dem kargen Rasenstück, das früher die Baracken beherbergte, eine Mahn- und Gedenkstätte geworden. Und seit kurzem ist diese nochmal erneuert worden - und mittels Konzept ansprechend und respektvoll hergerichtet, getreu dem Motto: Die Toten mahnen uns. Teilweise sieht man noch die Stufen, die die Häftlinge beim Gang in die Baracken nehmen mussten. Bei deren Anblick sind die Bedingungen von damals ein Stück näher, und die Vorstellung, dass alles noch gar nicht so lange her sein kann, durchschleicht einen.

Auch hier gibt es noch Zeitzeugen-Berichte, wonach z. B. ein Bauer, der mit dem Pferdefuhrwerk vom Acker kam und Kohlrüben geerntet hatte, ein paar der Feldfrüchte vom Hänger purzeln ließ - so als sei es Zufall gewesen. Es war strengstens verboten, den Insassen des Lagers etwas Essbares zuzustecken. Aber wenn zufällig was von der Ladefläche fiel, dann blieb das unbemerkt, und für die geschwächten Menschen war es eine kleine Mahlzeit. (Diese Episode schildert eine heute 80jährige Lärzerin über ihren Vater, der auf dem Flugplatzgelände einen Teil seines Ackers hatte und diesen dann auch für den Rollbahnbau hergeben musste).


Die letzten Monate des Krieges in Lärz:

Ein Zeitzeuge, heute 93 Jahre alt, berichtet:

"Im Acker bei uns war Flakstellung. Die Beuteflugzeuge standen alle in Reih' und Glied, aber sie wurden alle in Brand geschossen, kaputt...

Der eine Jäger wurde abgeschossen, war notgelandet, ein 20jähriger Kanadier drin, der wurde rausgeholt, in Gefangenschaft. Die Wehrmacht nahm ihn mit...

Einmal in Lärz im Wald ist einer mit Fallschirm hängengeblieben, lebend, vom Ausbau einer hat ihn rausgeholt, Pastors Schwester – Reni oder Käthe – konnte Englisch.

 

1945, Lärz:

Am 10. April 45 – Vater war mit der Stute zum Hengst nach Neu Gaarz –  da war Fliegeralarm. Die Lärzer liefen alle weg, es brannte das ganze Dorf, Vater kam ins Dorf rein, bei M. konnte man noch was retten... Der Hof gegenüber war schon abgebrannt mit Storchennest, bei der Scheune von J. fing das Feuer an...

Alle Dächer mit Rohr brannten, bei W. – das letzte Haus - brannte noch ein Schuppen ab, die hatten schon einen Traktor drin. Unsere Seite blieb verschont. Dann kamen die Leute alle aus dem Wald zurück. Der Wind ging so lang, immer Westwind, aber es haben nur die Ställe gebrannt, die Häuser waren noch bewohnbar...

Brandmunition, Maschinengewehr aus der Luft, Begleitjäger, Bomber, das kann man sich gar nicht vorstellen, der ganze Himmel war voll...

Wir konnten noch alle Flächen bestellen, der Acker war eingesät, nun war ein Bombentrichter neben dem anderen nach dem Angriff...

Dann hat Vater gesagt: Hier müssen wir raus. Die Drillmaschine stand mitten auf dem Acker, ist heil geblieben. Nun nahm Vater alles in die Hand und organisierte den Umzug..."

Diese Website dient im Zuge der "Zeitreise der kleinen Sekunde" der Mahnung und Erinnerung. "Die kleine Sekunde" ist ein Projekt von "Mitten im Dorf" in Lärz - Kreativstudio mit Hofladen, DDR-Stübchen & Medienservice, das sich im weitesten Sinne mit Zeit befasst. "Die kleine Sekunde" hat es sich zur Aufgabe gemacht, u. a. in Büchern auch Zeit- und Heimatgeschichte aufzuarbeiten - ohne eine Bewertung vorzunehmen. Mehr dazu unter www.diekleinesekunde-shop.de. Der Ort Lärz hat u. a. durch das Fusion Festival, aber auch durch das einzigartige Airpark-Projekt im In- und Ausland Bekanntheit erlangt. Dabei ist immer wieder zu spüren, dass sowohl bei den Festivalgästen, als auch bei den Touristen oft nur sehr wenig über die bewegte Vergangenheit der südlichen Müritzregion bekannt ist - etwas was "die kleine Sekunde" ändern möchte. 

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